Tausende Chatbots sind als Berater im Einsatz. Wenn Chatbots gut macht sind, erhöhen sie die Kundenbindung. Sonst eher nicht.
Der ARAG Reiseassistent hat das ganze Jahr über viel zu tun, vor allem aber im Vorfeld der Sommer- und Winter-Reisezeit ist er dick im Geschäft. Zahlreiche Verbraucher treten vor den Höhepunkten der Urlaubssaison mit ihm in einen Dialog und informieren sich, wie sie ihren Urlaub absichern können. Sie suchen Antworten auf Fragen wie “Brauchen wir eine Auslandskrankenversicherung?” oder “Ist ein Schutzbrief sinnvoll?”
Das Besondere daran: Der Reiseassistent des Versicherungskonzerns ARAG ist kein Mensch, sondern ein Chatbot. Über Eingabefelder im Chat-Fenster des Facebook Messengers wird das Gespräch gesteuert. Im Idealfall führt es nahtlos in den Online-Checkout, wo dann vom Anwender direkt eine Versicherung abgeschlossen werden kann.
Der ARAG-Chatbot ist der Vertreter einer Technologie, die sich wachsender Beliebtheit erfreut. Der Begriff setzt sich aus “to chat” (plaudern) und “bot” (für Robot) zusammen und bezeichnet eine Software, die im Text bestimmte Signalwörter erkennt und daraufhin mit zuvor abgespeicherten Textmodulen antwortet.
Vorteil Chatbot
Für Unternehmen bietet der Einsatz von Chatbots in Messenger-Diensten oder auf Webseiten eine ganze Reihe von Vorteilen.
Zunächst einmal werden Mitarbeiter entlastet, die sonst immer und immer wieder die gleichen Fragen zu Produkten, Dienstleistungen oder Öffnungszeiten beantworten müssten. Darüber hinaus arbeit ein Bot klaglos und ohne Gehaltszuschlag rund um die Uhr, er kann also auch nachts auf Anfragen reagieren.
Und nicht zuletzt macht er einfach Spaß. Umfragen zeigen zwar, dass noch viele Menschen Vorbehalte haben, mit Bots zu kommunizieren, doch die Unternehmen berichten, dass die User gern mit ihnen sprechen, weil das unterhaltsam ist. Ein weiterer Vorteil ist: Aufwendigere Bots können aus den Dialogen und der Analyse der gewonnen Daten Produktempfehlungen ableiten, auf die ein “normaler” Mitarbeiter vielleicht gar nicht gekommen wäre.
Der Chatbot von ARAG ist dabei kein KI-gesteuertes Intelligenz-Monster, sondern eher einfach getrickt. Schon bei kleinsten Gegenfragen im Freitextfeld steigt er aus: “Sorry, we didn’t understand that message.” Wer sich allerdings an den im Chat vorgegebenen Buttons entlanghangelt, erhält durchaus die gewünschten Informationen.
“Rund 100 User durchlaufen den Chatbot monatlich”, berichtet Jakob Muzio., Online Marketing Manager bei der ARAG SE, “ein Großteil von ihnen bis in den letzten Dialogebenen. Zudem zeigen die Webanalyse-Daten, dass er tatsächlich beim Kauf assistiert.” Eine erfolgreiche Marketingmaßnahme also, vor allem weil die ARAG den Bot innerhalb von nur zwei Wochen und ohne externe Unterstützung selbst installieren konnte.
Chatbot-Initiative von Facebook
Möglich ist diese relativ einfache Implementierung, weil die großen Plattformen inzwischen das Themas für sich entdeckt haben. Ein Schlüsselereignis auf dem Weg dorthin: Im Frühjahr 2016 startete Facebook eine Chatbot-Initiative. Seitdem können Unternehmen in dem sozialen Netzwerk relativ einfach ihren eigenen Chatbot bauen und ihn auf dem Messenger-Dienst einstellen.
Man schätzt, dass mittlerweile weit über 100.000 Chatbots auf dem Facebook Messenger aktiv sein dürften. Ein Indiz für die wachsende Beliebtheit von Chatbots auf Facebook war kürzlich die Entscheidung des Gesundheitsportals Nedoktor, dort einen eigenen Chatbot zu starten.
Sapia, so der name des Dialog-Roboters, ist in der Lage, eine Art medizinischer Sprechstunde abzuhalten. Der User schildert ihm seine Krankheitssymptome, Sapia antwortet mit Diagnosevorschlägen. Dabei greift der Bot auf eine von Medizinern entwickelte Datenbank mit rund 700 Symptomen und 560 Diagnosen zu.
“Nutzer können mit Sapia auf einfache und interaktive Weise ihre Symptome prüfen und deren Bedeutung verstehen – und das rund um die Uhr sowie überall per Smartphone”, erläutert Florian Geuppert, CEO von Netdoktor.
Mit der Einführung von Sapia wollte Netdoktor auch jüngere Zielgruppen erreichen. Das Vorhaben scheint geglückt, tatsächlich sind rund 65 Prozent der Nutzer unter 30 Jahre.
Und auch hier ist die Absprungrate – ähnlich wie beim ARAG Reiseassistenten – niedrig. Wer einmal anfängt, mit dem Chat zu plaudern, bleibt dabei. “Unsere Completion Rate liegt bei sensationellen 95 Prozent”, sagt Geuppert. “Nahezu jeder, der den Anamnese-Chat begonnen hat, beendet diesen auch bis zum Vorschlag der Verdachtsdiagnose.”
Herbie lernt ständig dazu
Auch auf der eigenen Website kann der Einsatz von Chatbots sinnvoll sein. Seit März experimentiert die Deutsche Kreditbank (DKB) mit Herbie. Herbie ist ein Chatbot, der erste grundlegende Fragen zu einem Kredit beantworten kann und in Zusammenarbeit mit dem Berliner Fintech FinReach kontinuierlich weiterentwickelt wird. Immer wieder werden diverse Dialogstrukturen getestet und bei Bedarf verbessert.
“Die Besonderheit ist, dass er anhand von spezifischen Fragen den Gesprächsverlauf leitet udn in Echtzeit ein relevantes Produktinteresse erkennt”, so FinReach-CEO Sascha Dewald. Damit unterscheide er sich von klassischen Chatbots. “Auf Basis von Künstlicher Inteligenz lernt Herbie ständig dazu und kann dadurch seine Informations- und Interaktionsqualität verbessern”, sagt Markus Petzold, Fachbereichsleiter Payment bei der DKB.
Herbie ist noch in der Pilotphase. Denn er soll nicht nur die Kundenbindung erhöhen, sondern ganz generell zeigen, ob Kunden bereit sind, solche Technologietrends mitzugehen. Die ersten Erkenntnisse seien positiv, berichtet Petzold. “Es zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Kunden das Angebot, mit einem Chatbot zu interagieren, annimmt.”
Tipps für den Chatbot-Einsatz
Grundsätzlich gilt: Die Akzeptanz wächst, wenn ein Chat nicht zu ambitioniert daherkommt und am Ende die Erwartungen nicht erfüllt. Das Netz ist voll von Screenshots, auf denen gezeigt wird, wie User scheinbar simple Fragen stellen und dann dämliche Antworten erhalten. “Das Wichtigste ist: Chatbots sollten funktionieren und dem Benutzer weiterhelfen”. Betont Matthias Mehner, Vice President beim Messenger-Marketing-Spezialisten MessengerPeople (vormals Whats-Broadcast). “Heute sind viele Chatbots noch zu “dumm”, das aber sei, wie bei jeder anderen Kommunikation auch, schlecht für das Verhältnis zwischen Kunden und Unternehmen. Wie also vorgehen? Mehner empfiehlt, sich am Anfang auf bestimmte Fragen zu konzentrieren und einen Chatbot für spezielle Themen einzusetzen. Kontraproduktiv sei es, gleich das ganze Wissen der Firma in den Bot pressen zu wollen. Zum zweiten gehe es auch um passende Antworten auf die Fragen, die einen Chatbot überfordern. Mehner: “Ich empfehle dringend, Fallback-Antworten vorzubereiten, die im idealfall allgemeine Antworten geben. Und dann – und das ist ganz wichtig – die jeweiligen Antworten an einen Bearbeiter im Kundenservice weiterleiten.” Unter dieser Voraussetzung erhöht ein Chatbot die Kundenbindung. Selbst wenn er erst einmal nicht weiterhelfen konnte.
5 Gründe für Chatbots:
- Zeit und Geld: In den Customer Service Centern gehen täglich unzählige Fragen ein, von denen die viele ähnlich gelagert sind. Lernt ein Bot, einfache und wiederkehrende Anliegen automatisiert zu beantworten, gewinnen die Mitarbeit Zeit, sich komplexeren Fragestellungen zu widmen.
- 24/7 erreichbar: Ein Bot braucht weder Schlaf noch Urlaub. Er ist am Wochenende und tief in der Nacht erreichbar. Im Internet erwarten Kunden Hilfe zu jeder Tageszeit. Mit schnellen Antworten sorgen die Bots für zufriedenere Kunden, was zur Kundenbindung beiträgt.
- Abbau von Komplexität: Bots liefern den Usern individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Informationen oder Produktvorschläge – von der Restaurantempfehlung bis zur Reiseplanung-Beratung. Komplizierte Suchprozesse werden so vereinfacht.
- Wertvoll Insights: Kunden generieren Daten und liefern den Unternehmen Einblicke in ihre Bedürfnisse und Interessen. Mit diesem Wissen können die Unternehmen maßgeschneiderte Produkte und Services anbieten.
- Beitrag zum Verkaufserfolg: Bots können wichtige Fragen zu einem Produkt beantworten und so zum Verkaufsabschluss animieren. Zudem können sie auf neue Produkte und Dienstleistungen aufmerksam machen. Auch die Bounce-Rate kann deutlich gesenkt werden.